Woher kommt dieses Schuldgefühl?
Über die Begriffe des Schuldgefühls oder der Aufopferung sind schon ganze Bücher gefüllt worden: Sie sind ganz klar Teil der Werte, die sich über Jahrzehnte eingeprägt haben. Sie haben lange als Bezugspunkte für unsere Gesellschaft gedient.
Werfen wir einen genaueren Blick auf die Erziehung. Idealerweise, und dank der Beziehungen zu anderen, kann ein Kind die Fähigkeit entwickeln, sich unwohl zu fühlen, wenn es jemand anderem wehtut. Gut begleitet entsteht daraus die Empathie: die Sensibilität für das, was der andere fühlt. Dabei handelt es sich um einen normalen Prozess, der notwendig ist, um Beziehungen zu seiner Umwelt aufzubauen. Gut dosiert ermöglicht die Empathie den Respekt des anderen und seiner Verschiedenheit.
Aber manchmal geht die Erziehung zu weit und spielt zu oft diese Karte aus, die sich die Psyche des Kindes zunutze macht. Dies ist insbesondere der Fall bei emotionaler Erpressung: „Wenn du dies nicht tust, wird Mama sehr traurig sein oder wenn du jenes tust, wird Papa böse werden.“ Nach und nach lernt das Kind, dass es für die Gefühle, Stimmungen… der anderen und somit für ihr Wohlbefinden verantwortlich ist. Eine Freude bereiten wird gleichbedeutend mit geschätzt und geliebt werden. Diese fehlerhafte Gleichung wird zu einem regelrechten Gift. Die damit „vergifteten“ Personen fühlen sich nicht gut, wenn jemand in ihrer Umgebung unzufrieden scheint. Sie denken sofort, dass sie daran schuld sind oder dass es „ihr Fehler“ ist. Und da ist es dann: dieses famose Schuldgefühl!
Ihre erste Reaktion wird übrigens sein, zu versuchen, die Sache wieder in Ordnung zu bringen oder geradezubiegen, indem sie als Vertrauter oder Mediator fungieren. Wenn man sich in einer übertriebenen Form für das Wohlergehen der anderen verantwortlich fühlt, ist es natürlich schwierig, auf seine innere Stimme zu hören und sich Zeit für sich zu nehmen. Irgendetwas dreht dann nicht rund…
Das Schuldgefühl hat somit überhaupt keinen Zusammenhang zu einer tatsächlichen Schuld. Doch für die Person, die solch ein Schuldgefühl in sich trägt, macht das keinen Unterschied und das Gefühl kann überhandnehmen. In solchen Situationen ist das Schuldgefühl ein Parasit der Seele, gleich dem Efeu, das an einer Eiche hinaufwächst und diese nach und nach erstickt und ihr ihre Lebensenergie entzieht.
Von da ausgehend entsteht ein Verhalten, das seltsam erscheinen kann, wenn man außer Acht lässt, was soeben gesagt wurde: die Aufopferung. Nicht selten beobachtet man Personen, die sich für andere aufopfern oder ihre eigenen Bedürfnisse hintenanstellen zugunsten der (realen oder mutmaßlichen) Erwartungen der anderen. Bittet jemand diese Personen um einen Gefallen, äußert sich das oft durch ein „Ja“, hinter dem sich ein „Ich würde doch gerne 'nein' sagen“ verbirgt.
Aber Achtung! Die Aufopferung, von der wir hier reden, ist nicht kostenlos, da sie auf der Angst basiert, sich Grenzen zu setzen und „nein“ zu sagen. Wenn sie also nicht kostenlos ist, entsteht eine Schuld; eines Tages hört man sich sagen: „Nach alledem, was ich für dich getan habe...“ Der Preis für die Aufopferung sind meist Enttäuschungen, Desillusionierung und andere unangenehme Gefühle. Eine gesunde Beziehung erfordert kein solches Verhalten.